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Eine kleine Geschichte des Zimmerstutzens
 

 

Von Brigitte G. Hölscher


 
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Die historische Geschichte des Zimmerstutzens wird heutzutage nicht mehr vollständig nachzuvollziehen sein. Nur wenige Fakten sind gesichert, vieles wird für immer im Dunkeln bleiben. Sicher ist, dass ein gewisser Karl Fedor Horrmann in den 1840er Jahren als erster das bereits erfundene Piston-Zündhütchen für das Verschießen von kleinen Rundkugeln in Langwaffen nutzte. Ebenso ist sicher, dass das Zimmerstutzenschießen in München erfunden und von dort nach Bayern und Tirol sowie in die Welt hinausgetragen wurde.

Der Erfinder Karl Fedor Horrmann

Bei einer Recherche des Redakteurs Sailer der Münchner Zeitung im Jahre 1926 konnte der damalige Büchsenmacher und Meisterschütze Adam Schurk einen Kontakt zum 85jährigen Sohn des Erfinders  Karl Fedor Horrmann herstellen. Der Sohn Rudolf Horrmann berichtete dem Redakteur über seinen Vater folgendes: Der junge Büchsenmacher Karl Fedor Horrmann kam Anfang der 1840er Jahre von Magdeburg nach München. Er fand eine Anstellung als Büchsenmacher und Graveur in der Werkstatt des Christian Rehbichler in der Schützenstraße 1 in München. Horrmann heiratete 1844 die Tochter seines Arbeitgebers Rehbichler und übernahm nach dessen Tod das Büchsenmachergeschäft und siedelte damit später in die Kanalstraße 19a um. 

In einem alten Skizzenbuch von Karl Fedor Horrmann, welches sein hochbetagter Sohn Hofgraveur Rudolf Horrmann Mitte der 1920er Jahren noch besaß, sind die ersten Entwürfe einer umgebauten Feuerwaffe zu sehen, die mittels Zündhütchen kleine Rundkugeln verschießen können sollte. In weiteren Skizzen ist dann ein vollendetes Zimmerstutzengewehr zu sehen, so wie es erstmals dann von Horrmann konstruiert worden ist. 

Doch Horrmann war mehr eine Künstlernatur als ein Geschäftsmann. Zudem hatte er es als „zugereister Magdeburger Protestant“ in München besonders schwer, beruflich erfolgreich Fuß zu fassen. Er konnte seine Erfindung nie gewinnbringend einsetzen. Bald konstruierten auch die vielen anderen Münchner Büchsenmacher ebenfalls die unterschiedlichsten Zimmerstutzen. Somit gab es schnell eine große Bandbreite von Konstruktionen, über die heute natürlich keinerlei Dokumentation existiert. So kann man sich leicht vorstellen, welche Blüten der neu geschaffene Zimmerstutzen- Schützensport trieb, da bald eine große Nachfrage bestand und die ortsansässigen Büchsenmacher  alle verfügbaren Altwaffen und Materialien zu Zimmerstutzen umbauten.

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Erste Zimmerstutzen-Gesellschaften in München

Die 1855 in München gegründete Schützengesellschaft „Bayerische Krone“ rühmte sich in der Illustrierten Bayerischen Schützenzeitung 1895 anlässlich ihres 40jährigen Bestehens damit, dass sie die erste Gesellschaft in München war, die mit „richtigen Zimmerstutzen“ schoss – bei denen sich nämlich das Schloss auf der Seite befand. Dies gibt Aufschluss darüber, wie vielfältig zu Beginn die Konstruktionen waren.

Das Mitglied Gärtnereibesitzer Graf der Bayerischen Krone bekam seinen ersten Zimmerstutzen im Juni 1854 von Büchsenmacher Georg Leute aus der Schwanthalerstraße. 
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Es gab bald weitere Zimmerstutzen-Gesellschaften in München, zu den ältesten gehören das „Schützenkränzchen“ von 1840 und auch die Gesellschaft „Freundschaft“, die um 1850 herum gegründet worden ist. Ob direkt zu Beginn bereits mit Zimmerstutzen oder Ähnlichem geschossen worden ist, kann heute nicht mehr belegt werden. Oft waren es anfangs nur Geselligkeitsvereine, die auch Bolzenschützen waren. 

Jedoch wurde 1862 bereits der Zimmerstutzen-Schützenbund München gegründet, der als Gründungsmitglieder die Gesellschaften Alt-Bavaria, Eichbaum, Schützeneintracht, Bayerische Krone, Lilie, Schützenheil, Bürger-Casino, Schützenclub, Gemüthlichkeit und Schützenlust verzeichnet.

Der Zimmerstutzen-Schützenbund München war die allererste  Vereinigung mit „Verbands-Charakter“, die die Interessen der damals immens aufkommenden  Zimmerstutzen-Schützen vertrat. Denn ansonsten gab es nur die hochherrschaftlichen Feuerschützen, die in der Münchner Hauptschützengesellschaft vereinigt waren. Das Armbrustschießen wurde ebenfalls von verschiedenen kleineren Gesellschaften gepflegt. Es sollte aber noch viele Jahrzehnte dauern, bis das zuerst belächelte Zimmerstutzenschießen auch von den alteingesessenen Feuerschützen anerkannt und ausgeübt wurde. Denn viele Feuerschützen pflegten später das Zimmerschießen, um vor allem in den Wintermonaten in Übung zu bleiben, wenn das Feuerschießen witterungsbedingt pausierte. 

Altes Abzeichen des Schützenkränzchen 1840
© Sammlung RS

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Das Zündhütchen

Allen Zimmerstutzen gleich war die Zündung durch den Knallsatz der Zündmasse im Zündhütchen ohne einer Pulverladung als Treibmittel für die Kugel. Teilweise gab es Modelle mit Piston-Zündhütchen andererseits später auch mit Randzündern. Diese beiden Zünder unterscheiden sich dahingehend, dass das Piston-Zündhütchen ein Zentralfeuerzünder ist und der Randzünder ein Randfeuerzündung besitzt. 
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Zu Beginn des Zimmerstutzenschießens wurden ausschließlich Zentralfeuer-Zündhütchen „à bombe“ verwendet. Es wurde – wie bei Vorderlader-Gewehren gebräuchlich – auf einen Piston aufgesetzt und durch Schlag eines Hammers, bzw. einer Stange entzündet. Die Hauptmasse des Zündsatzes befindet sich direkt über dem Kanal des Pistons, so dass die Zündgase möglichst stark auf die Kugel wirken können.

Um die Handhabung zu erleichtern und das Zerreißen des Hütchens nach Schussabgabe zu erreichen – um es leichter vom Piston entfernen zu können – ist das Messinghütchen gerippt und gespalten. Das Hütchen hat sich nach der Entzündung flach ausgedehnt und kann nach zurückziehen der Schlagstange vom Piston fallen, ohne dass es eines Ausziehers bedarf.

Problematisch ist beim Piston-Zündhütchen allerdings, dass ein Teil der Gase auch am Piston vorbei nach Außerhalb verflüchtigen können.
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. Das Randfeuer-Zündhütchen hingegen sitzt in einem Wiederlager, damit die Gase direkt vollständig in den Kanal zur Kugel strömen können. Durch den Schlag eines Hammers, bzw. einer Stange auf den Rand des Hütchens im Widerlager wird eine wesentlich regelmäßigere Wirkung des Zündsatzes erreicht. Dies wirkt sich sehr positiv auf die Schussleistung und Präzision aus. So die technischen Ausführungen 1912 rückblickend auf die Entwicklung der Zimmerstutzenzünder im Taschenbuch für Zimmerstutzenschützen.
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Eine ganz verwegene Konstruktion wurde im Jahre 1855 eingeführt, ein sogenannter Zünderstutzen. Hier waren die Zünder direkt aus Zündmasse gepresst und galvanisch verkupfert. Diesen sagte man den Vorteil nach, dass das dauernde Wischen des Laufes überflüssig wurde, da die Zünder nach Schussabgabe verschwunden waren. Diese Zünder wurden in Gumpoldskirchen bei Wien hergestellt. Leider ist in dieser Fabrik bei einer Explosion der Werksführer ums Leben gekommen und hat sein Geheimnis um die Herstellung dieser einzigartigen Zünder mit ins Grab genommen. Somit waren diese Zünder nicht mehr erhältlich. Dies berichtete ein frühes Mitglied der Münchner Gesellschaft „Bayerische Krone“ rückblickend im Jahre 1895 zum 40jährigen Gesellschaftsjubiläum.

Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte seit der ursprünglichen Erfindung durch Horrmann, erfuhr der Zimmerstutzen allerorts in Bayern Verbesserungen. Es war ein wahrer Wettbewerb unter den Münchner und auch Nürnberger Büchsenmachern ausgebrochen, das „Stutzerl mit dem kurzen Innenlauf“ zu einem wettkampffähigen Präzisions-Volkssportgerät zu machen. Fertig produzierte Zimmerstutzen aus Fabriken in Suhl und Zella-Mehlis finden sich in den Katalogen der großen Fabriken wahrscheinlich erst ab ca. 1890 herum.
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System-Konstruktionen

Was bei allen Zimmerstutzen stets gleich war, ist der Mutterlauf, in dessen Inneren ein kurzer Einstecklauf eingebaut wurde. Dieser war meist 4mm im Durchmesser, während dies aber nach oben und unten leicht abwich, was zu den heute noch gebräuchlichen unterschiedlichen Kugelgrößen führte. Äußerlich glichen sie in Schäftung und Aussehen den Feuerstutzen, auch wurden später die gängigen Feuerstutzensysteme für Zimmerstutzen verwendet. Hier gab es also auch Fall-, Dreh- und Vertikalblockverschlüsse. Bei Verwendung von Randfeuerzündern durfte hier der Schlagbolzen lediglich nicht auf der Mitte des Zündhütchens auftreffen, um es zu zünden. So waren bei den vom Feuerstutzen übernommenen Verschlüssen das Zimmerstutzen-Läufchen im Mutterlauf nahe des Schaftes eingebracht.

Während bei den umgebauten Verschlüssen der Feuerstutzen keiner langen Schlagstange bedurfte, wurde dies aber durch den Einbau des Einstecklaufes am vorderen Ende des Laufes anders. Hier wurde durch eine Öffnung im Mutterlauf der Zimmerstutzen mit Zündhütchen und Kugel mit einem separaten „Löffel“ beladen. Dies waren dann sogenannte Löffellader und bald auch Bügelspanner. Durch das Abziehen am Züngel bewegt sich die Schlagstange auf das Zündhütchen zu und löst den Schuss aus. Je nach Konstruktion waren hier aber auch unterschiedlich starke Erschütterungen zu erwarten, die die Präzision beeinträchtigten. 

Somit gab es Hinterlader von den gängigen Feuerstutzensystemen abgeleitet und Vorderlader, bei denen die Kugel von vorne durch den Lauf mit einem Ladestock auf das Zündhütchen geschoben wurde. Diese Konstruktionen waren aber sehr unfallträchtig, denn zu oft löste sich ein Schuss bereits während des Ladevorgangs. Denn das Beladen war auch im gespannten Zustand möglich. Hier wurden viele Verletzungen in den damaligen Zeitungen beklagt, sogar dass beim Zimmerstutzenschießen mehr Unfälle passieren, als beim großkalibrigen Feuerstutzenschießen.
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Eine neue Epoche wurde durch die beiden  Münchner Büchsenmacher Fischer („System KoKo“) und Lorenz Dieter („System Dieter“) vermutlich um 1890 herum eingeleitet. Beide Büchsenmacher konstruierten Ladesysteme, die den Ladevorgang vereinfachten. Hier war das Zimmerstutzen-Läufchen ebenfalls am vorderen Ende des Mutterlaufes eingeschoben. Diese Systeme, die bei senkrecht stehendem Stutzen zu beladen waren, wurden Rückladesystem genannt. 

Durch einen schwenkbaren Ladelöffel, der am Mutterlauf befestigt ist, wurden dort Zündhütchen und Kugel eingesetzt und in den Lauf hineingedrückt. Beim Auslösen des Schusses wurde die Schlagstange auf das Piston-Hütchen oder den Randzünder geschoben. Nach der Schussabgabe konnte der Ladelöffel wieder ausgeschwenkt und das abgeschossene Zündhütchen mit einem kleinen Messingstöckchen händisch ausgestoßen werden. 

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 Hoflieferant und Hofbüchsenmacher Lorenz Dieter
 aus dem Jahre 1912

Ein Zündhütchenauswerfer wurde erst später von Carl Stiegele integriert, der auch kleinere Umbauten gegenüber den Systemen seiner Kollegen Fischer und Dieter vornahm und das System auch als das heute noch bekannte und beliebte „Stiegele-System“ schuf. 

Die Hofgewehrfabrik Carl Stiegele in München hat sich nicht erst mit dem Aufkommen des Zimmerstutzenschießens einen Namen gemacht, schon lang zuvor war dies ein renommierter Betrieb für Jagd- und Scheibenwaffen.

Zimmerstutzen-Kugeln

Auch unterhielt Carl Stiegele eine eigene Geschoß-Fabrik in München, die für die Herstellung von exzellenten Zimmerstutzen Kugeln bekannt war. Hierfür kommt nur die Rundkugel in Frage, die schon damals aus Bleidraht gepresst wurde. Wie bekannt, brauchte man schon immer unterschiedliche Kugelgrößen für die minimal differierenden 4mm-Einsteckläufe. Nach dem Einschießen eines Laufes wurde die passende Kugelnummer eingestanzt. 
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Werbeanzeige Büchsenmacher Carl Stiegele aus dem Jahre 1912

Zimmerstutzenkugeln um 1910 der Fa. Uttendörfer/Nürnberg, die von der Rhein.-Westfälischen Sprengstoff AG übernommen wurde.

Da aber hierfür unterschiedliche Numerierungstabellen existierten, kommt es auch heute noch zu Problemen mit der korrekten Kugelwahl. Denn oftmals ist eine Größe einer alten Numerierung eingestanzt. 

Erst Carl Stiegele versuchte hier im Jahre 1903 bereits erfolgreich, eine einheitliche  Millimeter-Numerierung einzuführen, die um 1910 auch von anderen Herstellern übernommen wurde und auch heutzutage noch zugrunde liegt. 

So gilt die nebenstehende Tabelle aus dem Jahre 1912 noch heute, wenn es um die Größe der benötigten Zimmerstutzenkugel geht. Hier ist die Spalte Neue Stiegele Numerierung maßgeblich.

Werbeanzeige Carl Stiegele aus dem Jahre 1910 aus der Bayerischen Schützenzeitung.


© Brigitte G. Hölscher / Juni 2009

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